Neuroplastischer Schmerz – eine echte Hoffnung für alle chronischen Schmerzpatienten!
Neuroplastischer Schmerz? Hinsichtlich der Erforschung des Gehirns und allerlei Zusammenhänge von körperlichen Prozessen mit dem Gehirn wird ja bereits lange intensiv geforscht und viele spannende Dinge wurden bereits entdeckt und sind auch schon der ‚breiten Masse‘ an Menschen außerhalb der forschenden Universitäten und Hochschulen oder jeweiligen Fachkreisen bekannt.
Überholtes Wissen
Beispielsweise hatte ich noch früher in der Schule gelernt, dass die Anzahl an Gehirnzellen im Erwachsenalter feststehen und nicht mehr vom Körper hergestellt werden können. Man war der Überzeugung, dass zwar zwischen den Gehirnzellen jederzeit neue Verbindungen entstehen können (die sogenannten neuronalen Verknüpfungen), aber ein Zuwachs an Gehirnzellen wäre unmöglich. Dann kam plötzlich die Entdeckung der Neuroplastizität und hat all das über den Haufen geworfen.
Neuroplastizität
Die Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, sich ständig umgestalten zu können. Es können vom Körper jederzeit Bereiche aufgebaut werden, andere Bereiche aber auch wieder abgebaut werden. Zusätzlich können sogar manche Teile des Gehirns Aufgaben und Tätigkeiten von anderen Bereichen übernehmen, wenn es beispielsweise eine Schädigung eines bestimmten Bereiches gibt. Dann helfen einfach andere Gehirn-Areale mit und übernehmen Aufgabengebiete aus anderen Bereichen. Also vielmehr als ’nur‘ die Verbindung von Gehirnzellen über neue Synapsen!
Was ist neuroplastischer Schmerz?
Der Begriff des neuroplastischen Schmerzes (neuroplastic pain) zeigt schon, dass hier die Neuroplastizität eine zentrale Rolle spielt. Im Englischen wird diese Art des vom Gehirn verursachten Schmerzes auch ’neuropathway pain‘ oder ‚centralized pain‘ genannt.
Gehört habe ich selbst vom ’neuroplastic pain‘ in einem Podcast namens „Tell me about your pain“ von Alan Gordon und Alon Ziv (den Podcast findest du über alle gängigen Podcast Anbieter). Diese beiden stellen in ihrem Podcast neuste Techniken vor, die auf Erkenntnissen der Neurowissenschaften basieren, um so chronischen Schmerzpatienten zu helfen, diese Schmerzen hinter sich zu lassen. Aufmerksam auf den Podcast wurde über eine App ‚Curable‘, die ich seit einigen Wochen teste. Das Konzept von Curable ist hier ähnlich: die Techniken, die man in der App lernt, basieren auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ich werde mal einen ausführlicheren Artikel über die App schreiben, da ich alleine den Mut-machenden Ansatz, dass Migräne und chronische Schmerzen heilbar sind, und das neuste Forschungen auch beweisen, sehr wichtig finde. Entgegen der oft von Ärzten gemachten Aussage von „unheilbar“ und „damit muss man sich einfach abfinden“ (sicherlich aus Unwissenheit und da dies dem ‚alten Forschungsstand und ergo Wissensstand‘ entspricht) empfinde ich diese neuen Ansätze als echte Unterstützung!
Neuroplastischer Schmerz – noch relativ unbekannt?
Dass die Erkenntnisse des neuroplastischen Schmerzes noch nicht im Main-Stream Wissen angekommen sind, erkennt man beispielsweise daran, dass eine Suche zu diesem Thema leider absolut nicht leicht fällt. Gibt man in Google den Begriff ’neuroplastischer Schmerz‘ ein, wird man darauf hingewiesen, dass man sicherlich ’neuropathischer Schmerz‘ meinte, und dies mehr Ergebnisse bringt. Aber auch wenn man versucht, sich durchzusetzen, und auf ’stattdessen nach „neuroplastischer Schmerz“ suchen‘ klickt, bekommt man auch überwiegend Ergebnisse, bei denen es um neuropathischen Schmerz geht.
Sucht man hingegen in Englisch, findet man unter dem Begriff ’neuroplastic pain‘ schon viel mehr. Auch versucht Google komischerweise hier nicht einem das ’neuropathic‘ aufzuschwatzen, wie im Deutschen. Ebenso werden einem Ergebnisse zu ’neuropathway pain‘ angeboten – dass mit den unterschiedlichen Begriffen das gleiche beschrieben wird, scheint Google also schonmal klar zu sein.
Sucht man allerdings da, wo man die neusten wissenschaftlichen Studien findet, nämlich beispielsweise bei PubMed, wird man von der Menge an Studienergebnissen in diesem Bereich fast umgehauen! (Übrigens muss man auch da das „neuropathische Schmerzen“-Themengebiet rausfiltern, da es wohl so viel häufiger einfach bisher als Thema Grundlage eines Artikels oder einer Studie war).
Schade, dass ich leider keine wirklich gute deutsche Bezeichnung für diesen Ansatz finde – es scheint so, als ob das Thema wirklich noch nicht in seiner gänzlichen Breite in Deutschland angekommen wäre. (Falls jemand weiß, wie hierfür der deutsche Begriff ist, bin ich um Hinweise in den Kommentaren wirklich dankbar!).
Was ist neuroplastischer Schmerz nun genau?
Also, wir wissen, dass neuroplastischer Schmerz mit der Neuroplastizität zu tun hat. Und wahrscheinlich ging es nicht nur mir so, dass ich die Fähigkeit des Gehirns, Neuroplastizität machen zu können, immer durchweg positiv fand. Schließlich lässt es uns lernen und ermöglicht uns, dass wir uns neue Fähigkeiten aneignen. Oder aber das ’nach Hause fahren im Autopilot‘ ist einer der Vorteile der Neuroplastizität: wir haben es schon so oft getan, dass wir jetzt für diese Tätigkeit gar keine großen Gehirn-Kapazitäten mehr benötigen: es geht alles ganz automatisch und wir können nebenher unser Gehirn sogar für diverse Überlegungen nutzen oder einem Podcast folgen. Auch dass wir noch Rad fahren können, obwohl wir es vielleicht eine Ewigkeit nicht mehr gemacht haben, verdanken wir der Fähigkeit unseres Gehirns und gesamten Nervensystems.
Die dunkle Seite der Neuroplastizität
Jetzt kommen wir zu den negativen Effekten, die im Rahmen einer chronischen Schmerzerkrankung ebenso auf die Neuroplastizität zurückzuführen sind. Das Gehirn und gesamte Nervensystem sind nun in Bezug auf sonst gewöhnliche Gefühle und Aktivitäten sowas von übertrieben empfindsam und hyperaktiv. So kommt es dann, dass das Nervensystem plötzlich aus harmlosen Dingen Schmerz-auslösende Zustände macht.
Um zu verstehen, wie das gehen kann, müssen wir überhaupt erst mal verstehen, wie Schmerzen im Körper verarbeitet werden:
Akute Schmerzen
Wenn man einen akuten Schmerz hat (zum Beispiel beim Tritt auf eine herumliegende Playmobil-Kuh 😉 ) produziert das Gehirn Schmerz-Alarm-Signale, um uns zu warnen, dass etwas passiert ist, das unserem Körper schadet. Hintergrund ist, dieser Alarm soll uns natürlich so stark informieren, dass wir damit aufhören, das weiterhin zu tun, um so unseren Körper nicht weiter zu verletzen (man denke an die Hand auf der heißen Herdplatte…). Seit unserem Bestehen haben das Nervensystem und das Gehirn diese Alarm-Signale perfektioniert, sodass wir diese Informationen nicht nur speichern, sondern sie auch mit der aktuellen Umgebungssituation in Verbindung bringen („Immer wenn ich die Hand auf die Herdplatte lege, bekomme ich ein Alarmsignal. Also lege ich nicht mehr die Hand auf die Herdplatte.“)
Chronische Schmerzen
Das, was bei den akuten Schmerzen so sinnvoll und wichtig ist, gerät nun bei anhaltenden oder chronischen Schmerzen außer Kontrolle: das Gehirn und das Nervensystem werden überempfindlich und wie wenn man bei der Lautstärke einfach ‚mehr aufdreht‘, wird auch im Nervensystem alles stärker aufgedreht. Man könnte es auch mit einem ‚Fehl-Alarm‘ vergleichen. Es gibt ggf. keinen wirklichen Auslöser mehr, der Alarm ist aber trotzdem genauso laut wie bei einem „berechtigten Alarm“ – und er wird vom Körper auch als genauso wichtig und essentiell eingestuft. Es gibt jetzt sogar mehr Verbindungen für diese Übertragungen (Neuroplastizität hat hierfür gesorgt) und diese sorgen nun dafür, dass es auch zu Schmerzen kommt, obwohl eigentlich keine Schmerzen auftreten sollten. Dies wird oft als „zentrale Sensibilisierung“ bezeichnet: das Gehirn sendet weiterhin die Gefahrenmeldungen und Schmerzsignale aus (aufgrund der Neuroplastizität haben sich einfach viele neurolane Bahnen zur Übertragung dieser entwickelt), auch wenn die Schmerzmeldung gar keinen Sinn mehr ergibt und keine Schmerz-Ursache mehr vorliegt.
Schmerzgedächtnis
Hier kommt nun auch der wohl vielen bekannte Begriff des Schmerzgedächtnisses ins Spiel: die initial den Schmerz auslösende Verletzung ist schon lange ausgeheilt, und trotzdem spürt man noch die Schmerzen. Der Alarm wird einfach weiterhin über das Nervensystem abgefeuert und der Körper reagiert hierauf einfach mit Schmerzen, da dies das normale Verhalten des Körpers beim Alarm ist.
Bei langer Bewegungseinschränkung merkt sich der Körper einfach, bei welchem Bewegungsablauf der Schmerz aufgetreten ist, und diese Erinnerung lässt dann körperlich die Schmerz-Reaktion auslösen.
Zentrale Sensibilisierung ohne vorangegangene Verletzung und maladaptive Neuroplastizität
Übrigens kann der gesamte Prozess auch ohne vorher zugrunde liegende Verletzung oder Erkrankung aus dem Ruder laufen. Hier spielt auch die Angst eine große Rolle (die Angst vor dem Schmerz), da sie das gesamte Nervensystem nochmals zusätzlich in eine immerwährende Alarmbereitschaft versetzen kann und so dazu beitragen kann, dass falsche Warnsignale vom Gehirn gesendet werden.
Ein weiterer Begriff für diesen unerwünschten Effekt ist auch die maladaptive Neuroplastizität, also die fehlangepasste Neuroplastizität.
Das bedeutet aber nicht, dass neuroplastische Schmerzen nicht real wären!
Nichts desto trotz ist der Schmerz an sich – unabhängig davon, ob er nun mit einem Gewebeschaden ausgelöst wurde, oder aufgrund von einem über-sensiblen Gehirn ausgelöst wird, ein realer Schmerz. Es gibt keine Unterschiede in der Intensität oder wie sich der Schmerz anfühlt. Daher ist es auch nicht korrekt zu sagen, der Schmerz „sei nur eingebildet“, da es definitiv ein physisch wahrnehmbarer Schmerz ist.
Schmerzen durch Neuroplastizität – was Angst damit zu tun hat
Wir wissen bisher, dass die chronischen Schmerzen, denen kein wirklicher körperlicher Schaden zugrunde liegt, aufgrund des Nervensystems, das außer Kontrolle gerät, vom Gehirn als Schmerz interpretiert wird. Erschwerend kommt oftmals noch der Faktor der Angst hinzu: der Angst vor dem Schmerz. Das bedeutet meistens für chronisch Schmerz-Geplagte, dass sobald der Schmerz kommt, auch wenn er nur ganz leicht ist, dieser nicht mehr ausgeblendet werden kann und man ihn ‚voller Angst‘ beobachtet und prüft, wie er sich entwickelt. Durch die Angst (=Stress für den Körper und weiterer Grund, weitere Alarmsignale zu senden) werden jegliche Sinneswahrnehmungen als Schmerzen interpretiert.
Ganz vereinfacht ausgedrückt, kann man sagen, dass der neuroplastisch verursachte Schmerz einfach nur ein normales Gefühl bzw. eine Sinneswahrnehmung ist, das vom Gehirn in Verbindung mit Angst fehlinterpretiert wird. Die Formel „normales Gefühl und Angst ergibt ein neurplastisch erzeugter Schmerz“ trifft es ganz gut. Mit diesem Wissen kann man verstehen, dass die Lösung darin liegt, die Sinneswahrnehmungen ohne die Angst und den Stress des Nervensystems neu wahrzunehmen und so neu kennenzulernen.
„Neuroplastic pain = normal sensation + fear“
Podcast ‚Tell me about your pain‘ – Folge ‚What’s the key to breaking the pain cycle‘
Was kann man gegen neuroplastischen Schmerz tun?
Mit den Möglichkeiten, wie man seinem Gehirn diese fehlangepasste Neuroplastizität wieder „abtrainieren“ kann, beschäftige ich mich gerade intensiv. Das Gehirn muss lernen, dass es keine wirkliche Schmerz-auslösende Ursache gibt und muss vor allem aus dem Panik-Modus (der Über-Sensibilität) rausgebracht werden. Es gibt wissenschaftlich erprobte Übungen und Maßnahmen, wie man dies seinem Gehirn nun beibringen kann.
Ein ganz heißer Tipp als Werkzeug hierfür ist natürlich: jegliche Meditationsformen! Alles was hilft, den Körper aus der Anspannung und dem Stress rauszuholen, ist natürlich schonmal ein guter Anfang. Aber es gibt auch ganz spezielle Übungen, wie beispielsweise das ’somatische Tracking‘.
Hierüber werde ich in einem nächsten Artikel mal berichten – wärmstens empfehlen kann ich bis dahin die Curable App und Inhalte! Diese zielen genau darauf ab, das antrainierte Schmerzempfinden wieder loszuwerden. Tipp: Die App kann man übrigens auch einfach mal im Browser ausprobieren. Und natürlich einfach mal in den Podcast reinzuhören.
Bild von Sabine Zierer auf Pixabay




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Danke für diesen Beitrag! Genauso ist es, man findet kaum was dazu auf Deutsch. Vielen Dank für die sehr gute Erklärung!
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