GemischtesMigräne

Perfektionismus und Schmerz

Warum gibt es Zusammenhänge zwischen dem Perfektionismus und einer chronischen Schmerzerkrankung? Die Antwort liegt mal wieder im Gehirn! Schauen wir uns diesen Zusammenhang doch mal genauer an. Und vor allem wollen wir den Blick darauf werfen, was du als Perfektionist oder Perfektionistin mit Migräne oder sonstiger chronischer Schmerzerkrankung hieraus mitnehmen kannst.

Bin ich ein Perfektionist?

Ein Perfektionist oder eine Perfektionistin (im folgenden der Einfachheit halber nur noch in der männlichen Form geschrieben) ist eine Person, die die Erfüllung nach höchsten Standards anstrebt – also einen übertriebenen Hang zur Perfektion hat und gerne alle Dinge absolut fehlerfrei durchführt oder umsetzt. Perfektionisten haben einen sehr hohen Standard oder Maßstab gegenüber sich selbst; sie sind oftmals sehr streng zu sich.

Vorteile und Nachteile des Perfektionismus

Ein Perfektionist zu sein ist ja erst mal nicht schlecht: der Perfektionismus ist grundsätzlich eine geschätzte Eigenschaft – vor allem in der Berufswelt und am Arbeitsplatz. Perfektionisten sind in der Regel „high performer“ und erreichen die von ihnen selbst gesteckten Ziele. Allerdings währt die Freude am Erreichten nicht lange – womit wir auch zu den Nachteilen des Perfektionismus kommen: selbst wenn Perfektionisten ein hoch gestecktes Ziel erfolgreich gemeistert haben, denken sie danach eher daran, wie sie es besser oder auch schneller hätten erreichen können. Sie sind nie zufrieden mit sich und dem Erreichten und ziehen schnell zum nächsten Ziel oder zur nächsten Herausforderung weiter.

Perfektionisten verspüren immer einen Drang zur Dringlichkeit – auch wenn die Dringlichkeit nicht von außen sondern nur von ihnen selbst vorgegeben wurde. Das bedeutet, auch Themen mit vielleicht zweitrangiger Priorität werden in gewohnter Manier angegangen und in schnellster Zeit mit dem höchsten Standard realisiert. Die Perfektionisten werden gerade in der Arbeitswelt dann mit „ehrgeizig“ oder „mit starkem Antrieb“ beschrieben.

Somit sind die Perfektionisten ja eigentlich der Traum eines jeden Arbeitgebers: ein unermüdlicher Ziele-Erreichen und Über-Erfüller, der stets bemüht ist, sich noch weiter zu verbessern und zu optimieren. Wahrscheinlich sind die Perfektionisten dann auch der Albtraum eines jeden Kollegen, der eben nicht diesen Hang hat und so manchen Arbeitseinsatz des perfektionistischen Kollegen unverständlich belächelt 😉

Selbst ein Perfektionist? – Was nun?

Wenn auch du ein Perfektionist oder eine Perfektionistin bist, fragst du dich nun sicherlich, was daran denn nun eigentlich falsch sein sollte? Schließlich machst du so schon immer alle deine Aufgaben genau so und bist doch bisher ganz gut damit gefahren.

Es ist auch absolut nicht Verwerfliches daran, hohe Maßstäbe und Ansprüche an sich und ggf. andere zu haben. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass Perfektionismus sich auf den eigenen Körper auswirken kann und sich über unterschiedlichste Symptome auch im Körper bemerkbar machen (manifestieren) kann. Deshalb ist es wichtig, auf die richtige Balance zu achten und sich manche Muster auch ganz gezielt bewusst zu machen, um frühzeitig für die eigene Gesundheit gegensteuern zu können.

Wie entsteht Perfektionismus?

Weshalb sind manche Menschen denn eigentlich so perfektionistisch veranlagt? Oftmals formt sich der Hang zum Perfektionismus bereits in der Kindheit: vor allem bei Kindern, die während der Kindheit vermehrt Stress ausgesetzt waren. Der Perfektionismus kann hier als Art Überlebens-Mechanismus dienen: wenn man als Kind einem vielleicht chaotischen Umfeld ausgesetzt war, hat man das Bedürfnis, alles zu tun, um keinesfalls noch mehr Stress und Probleme für alle Beteiligten zu verursachen, und daher ein nahezu perfektes Verhalten an den Tag legen. Andere Theorien gehen davon aus, dass der Perfektionismus die Sehnsucht nach Anerkennung ist und diese Anerkennung über die vollkommene Leistung erreicht werden soll.

Die Nebenwirkungen des Perfektionismus

Wenn man versucht, alle Dinge perfekt zu erledigen, hat dies Einfluß darauf, wie Informationen vom Gehirn verarbeitet werden. Das Gehirn ändert sich also tatsächlich, wenn man immerzu einen perfektionistischen Ansatz verfolgt. Die grundsätzlich hohe Anspannung und Dringlichkeit, die Perfektionisten erleben, führen zu diversen Reaktionen im Körper: der Herzschlag steigt, Angst-Gefühle verursachen die Ausschüttung von Stress-Hormonen (z.B. Cortisol) im Körper und das Nervensystem wird in Alarmbereitschaft („Fight-or-Flight-Modus“) gesetzt.

Schmerzen als Folge von Perfektionismus

Durch den „Fight-or-Flight-Modus“ des Nervensystems (der ursprünglich unserem Überleben diente, wenn wir uns beispielsweise einem Säbelzahntiger gegenüber sahen) kommt es dann auch zu dem Auslösen von Schmerzen, oder aber der Erhöhung der Schmerz-Intensität! Der Körper dreht hier so kräftig auf, bis man gezwungen wird, eine Pause einzulegen und das System „herunterzufahren“. Als Nebeneffekt des Perfektionismus gibt es sogar bei konstanten Stress-Situationen (also der ständigen Anspannung und Angst) auch das Phänomen, das Schmerzen vom Gehirn ausgelöst werden, obwohl es keinerlei physische Schäden gibt.

Was würde helfen? Und warum ist gerade das für Perfektionisten eigentlich keine Lösung?

Interessant ist, dass genau die Dinge, die Perfektionisten eher selten tun und oftmals sogar als ‚unproduktiv‘ oder ‚Zeitverschwendung‘ abtun, genau die Dinge sind, die ihnen helfen würden:

Durch Entspannung, Spontanität, Achtsamkeit und Dankbarkeit sowie durch Freude, Spaß und Lachen werden Schmerz-lindernde (oder sogar Schmerz-unterdrückende) Neurotransmitter im Körper ausgeschüttet.

Somit haben wir als Perfektionist also die gesteigerte Anspannung und die Schmerz-steigernde Stress-Situation im Nervensystem, und auf der anderen Seite das „zu wenig“ an ausgleichenden und beruhigenden (und Schmerz-lindernden) Aktivitäten.

Möglichkeiten mit Perfektionismus umzugehen

Achtsamkeit

Der erste Schritt zum Umgang mit Perfektionismus ist das Bemerken der negativen Folgen des Perfektionismus. Alleine dieses Bemerken der eigenen Verhaltensweisen kann helfen, nachsichtiger mit sich selbst umzugehen und die Zusammenhänge zwischen dem eigenen Verhalten und den chronischen Schmerzen zu verstehen.

Balance ist alles

Nach dem Erkennen der eigenen Muster und Verhaltensweisen geht es darum, eine gesunde Balance zu finden: man kann nicht weiterhin die positiven Aspekte des Perfektionismus voll ausnutzen, ohne auch die negativen Effekte direkt zu spüren. Es geht viel mehr darum, nach und nach vielleicht einzelne Aspekte oder Teilbereiche des Lebens vom übermäßigen Perfektionismus zu befreien. Dies könnte vielleicht zuerst im Privatleben geschehen, indem manche Verantwortlichkeiten anderen übertragen werden und es dann geübt wird auszuhalten, wie es ist, wenn andere es vielleicht nicht wie man selbst ausführt und wie man damit klar kommt, die hohen Erwartungen herunterzuschrauben. Die Erkenntnis, dass man nicht alles selbst machen muss, muss erst einmal durch das Erleben und Üben zu einem durchdringen.

Pausen gönnen

Sehr wichtig ist es, sich regelmäßig und immer öfter auch Erholungspausen zu gönnen: nur so kann der hohe Anspruch einem selbst gegenüber auch ohne die Gefahr des Ausbrennens gehalten werden. Dies bedeutet nicht, dass man nun komplett faul wird und nichts mehr tut. Vielmehr geht es darum, sich den gleichen Standard aufzuerlegen, den man anderen auch zugesteht: meistens ist man Freunden oder seinen Lieben gegenüber viel nachsichtiger als sich selbst gegenüber. Nachsichtiger mit sich selbst zu sein ermöglicht es unserem Nervensystem, aus der Panik-Spirale auszubrechen – und dies wirkt sich dann auch positiv auf Schmerzhäufigkeit und/oder -intensität aus.


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Bild von Gerd Altmann auf Pixabay


Quellen:
Perfectionism and Psychopathology Lab - The University of British Columbia - https://hewittlab.psych.ubc.ca/faq-2/
Curable Health App - Curable Health - https://www.curablehealth.com/faq
Murray J. McAllister, PsyD - Institut for Chronic Pain - https://www.instituteforchronicpain.org/blog/item/158-61the-perfectionist-and-chronic-pain-how-to-cope-with-pain-series

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