Streudepolarisierung – oder: was ist eine Spreading Depression?
Als ich mir beim letzten Migräne-Anfall ja Gedanken zum Zustand des Gehirns während einer aktuellen Migräne gemacht habe, hatte ich beim Suchen nach Informationen zu den Gehirnwellen den Begriff ‚Streudepolarisierung‘ gefunden. Obwohl ich mich jetzt schon seit echt langer Zeit intensiv mit dem Thema Migräne auseinander setze, kannte ich den Begriff bisher nicht und hatte so auch keine Ahnung, was er zu bedeuten hat.
Ist Streudepolarisierung eine neue Erkenntnis?
Da ich sehr verwundert war, weshalb ich das Thema noch gar nicht kannte, habe ich mal versucht herauszufinden, ob das nun was komplett neues in der Forschung ist, oder ob es nur für mich komplett neu war.
Wie sich herausgestellt hat, ist letztes der Fall: den Begriff und das Thema ‚Streudepolarisierung‘ (z.B. auch mit dem Begriff ‚Spreading Depression‘ bezeichnet) sind schon seit 1975 ein bekanntes Phänomen bei Migräne-Patienten und auch bei Menschen mit Schlaganfällen. Entdeckt wurde es sogar noch viel früher, nämlich ca. 1945.
Aha, spannende Sache…
Und da ich nach weiterer Beschäftigung mit dem Thema glaube, dass mit dieser Information wirklich ein interessanter Ansatz zum Verhalten in akuten Migräne-Anfällen ableitbar ist, möchte ich das Thema und den Begriff im Folgenden beschreiben.
Was ist es denn nun?
Unter Streudepolarisierung (Spreading Depolarization) wird eine Welle im Gehirn verstanden, die entgegen den sonst vorherrschenden schnellen Geschwindigkeiten sich einfach nur ultra langsam fortbewegt. Sie ist sozusagen die Oma mit Gehhilfe auf dem Zebrastreifen, die alle schnellen Rennautos ausbremst!
Das Rennauto
Die schnellen Übertragungen im Gehirn kennen wir alle: über Nervenfasern, die alle Nervenzellen verbinden, wird in schneller elektrischer Impuls von einer Zelle zur andren Zelle übertragen. Das wird „Aktionspotential“ genannt und wird in jedem Biologieunterricht der Ober- und Mittelstufe unterrichtet.
Die Oma mit Gehhilfe
Ganz im Gegensatz hier die zweite Art Übertragung im Gehirn: eine Entladungs-Welle, die extrem langsam voranschreitet und nicht über die Nervenfasern übertragen wird, sondern über den Raum zwischen den Gehirnzellen. Sie ist dabei so langsam, dass sie alles zum Erliegen bringt: wo die Welle ist oder war, wird für Minuten keine Nervenübertragung (Aktionspotential) mehr ablaufen.
Es ist vollkommen still.
Gut oder schlecht?
Hmm, es ist vollkommen still. Hört sich ja erst mal gut an. Ist diese langsame alles zum erliegenden bringende Welle dann also Segen, oder ist sie doch eher Fluch?
Das ist in der Tat noch nicht ganz eindeutig geklärt. Vorstellbar ist, dass es das letzte Aufbäumen vor dem Absterben von Gewebe ist. Wobei sicherlich auch unterschieden werden muss, ob die Welle nun bei Migräne oder im Rahmen eines Schlaganfalls auftritt.
Migränezyklus
Da uns jetzt vornehmlich die Migräne interessiert, werden wir nicht weiter auf die Welle im Zusammenspiel von Schlaganfällen eingehen. Im Zusammenhang mit der Migräne ist es sicherlich hilfreich zu wissen, dass es einen Migränezyklus gibt: es gibt also immer wieder Phasen, in welchen das Gehirn einfach empfindlicher reagiert und nicht so viel Widerstandskraft hat.
In dieser Phase mit niedriger Widerstandskraft kann das Milieu der Nervenzellen durch Reizüberflutung leichter umkippen. Jeder Reiz wird nun um so viel stärker wahrgenommen als sonst. Das ganze wird als Licht- und Geräuschempfindlichkeit oder auch als Geruchsempfindlichkeit beschrieben. Auch die Wetterfühligkeit ist einer dieser Reize, die jetzt verstärkt wahrgenommen werden.
„Trigger unbedingt vermeiden“ somit sinnfreien Ratschlag?
Wenn man den Migränezyklus betrachtet, wird so manch gut gemeinter Ratschlag (man müsse alle Trigger als auslösende Faktoren vermeiden, ebenso unbedingt jeden Tag die gleichen Abläufe einhalten, die gleichen Essenszeiten, die gleichen Schlafenszeiten, etc.) in Frage gestellt.
Während es nämlich in der Tat Zeiten gibt, in denen das Gehirn massiv und sehr empfindlich auf Auslöse-Faktoren reagiert, gibt es eben auch Phasen, in denen das Gehirn eben gar nicht oder nur sehr wenig auf bestimmte Stressoren reagiert.
Somit sollte man diese auch gerne zitierten Vorgaben zur Gestaltung des Lebens mit Migräne nicht nur in Frage stellen, sondern darüber hinaus sogar aktiv in Phasen von hoher Widerstandsfähigkeit gezielt sich den vermeintlichen Auslösern aussetzen, um der zunehmenden Überempfindlichkeit durch Schonung entgegenzuwirken und aktiv das Milieu der Nervenzellen stabiler zu machen.
Mehr Infos gefällig?
Ich war richtig begeistert, was sich alles an Informationsmaterial findet, wenn man in dem Thema mal sucht.
Die besten Artikel hab ich dir direkt verlinkt.
- Spreading Depression: Erst Reizüberflutung dann Stille im Gehirn – von Markus A.Dahlem in seinem Blog Graue Substanz
- Tsunami im Kopf – von Susanne Donner auf Wissenschaft.de
- Was bedeutet ein Migränegehirn kippt? – von Markus A. Dahlem
Die Welle aufhalten?
Ich frage mich jetzt natürlich: wie können wir diese Welle aufhalten? Geht das überhaupt? Und ist damit auch die Migräne vorbei?
Hierbei fiel mir wieder mein Rehaler ein: da es als ich ihn mir besorgt habe nur englisch sprachiges Material dazu gab, hab ich es nicht direkt in Zusammenhang gebracht, aber: der Rehaler hat sich genau das zur Aufgabe gemacht: diese Welle aufzuhalten. Der Rehaler macht dies über eine Reduktion des Sauerstoffgehaltes im Blut und somit im Gehirn.
Ob und wie das funktioniert, werde ich mal in einem nächsten Blogbeitrag beschreiben.
Üben, die Welle zu kontrollieren
Seit ich von der Welle weiß, nehme ich beim Beginn eines Migräne-Anfalls (wenn ich also all die bekannten Vorboten bemerke) auch ganz bewusst mal den Zustand meines Gehirns wahr. Beim letzten Mal hatte ich auch den Eindruck, ich könnte wahrnehmen, wie sich da was an meinem Hinterhaupt auf den Weg macht. Ich habe mich dann ganz bewusst in einer Meditation auf dieses Gefühl konzentriert und habe mir vorgestellt, wie sich diese Welle ganz von alleine immer mehr auflöst und ganz ausläuft, sodass sie gar nicht mehr wahrnehmbar ist.
Ich denke, dass dieser Ansatz – mit Achtsamkeit zu beobachten und über Suggestionen und Wahrnehmungen das Befinden zu steuern – eine gute Unterstützung ist. Ich glaube auch, je feiner unsere Antennen für uns selbst und unser Befinden werden, desto besser kann man auch mit einer neurologischen Erkrankung wie der Migräne umgehen.
Prophylaxe ist alles
Ach so, was natürlich auch ganz klar ist: je empfindlicher die Nervenzellen und das ganze Milieu ist, also je gestresster und je mehr unter Dauerbeschuss, desto mehr Reizüberflutung findet im Gehirn statt, und desto wahrscheinlicher kommt es dann in Phasen der geringeren Widerstandskraft im Gehirn zu dieser langsamen Welle, die nach der Reizüberflutung für Stille sorgen will.
Daher ist für mich klar, dass auch hier die Meditation das Mittel der Wahl ist: durch gezielte Entspannung und dem Abstand von den Reizen der Außenwelt kann sich das Gehirn wieder erholen, sich regenerieren und sich erholen, bevor der Körper mit dieser „letzten Lösung“ den Vorschlaghammer rausholt und alles mittels Spreading Depolarization zum Erliegen bringt.
Daher lieber vorher regelmäßig die Überreizung stoppen und dem Gehirn eine Auszeit gönnen – am besten mit einer Meditation oder Entspannungsform deiner Wahl!
Wenn du noch keine Erfahrung mit Meditation gemacht hast, und direkt einsteigen willst, und sehr schnell erste Erfolge sehen willst, wäre für die der Turbo-Start mittels Brainwave Entertainment Audios vielleicht eine gute Sache!
Bildinfo: Bild von Colin Behrens auf Pixabay



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